"Berliner
Zeitung", 25.10.2000
:: "Man lässt uns deppert
sterben"
Wie die österreichische Regierung
versucht, einer Netzkunst-Initiative das Leben schwer
zu machen
WIEN,
im Oktober. "Es ist nichts mehr so, wie es früher
war", hört man dieser Tage des Öfteren
in Wien. Wer hier seinen Unmut kundtut, sind nicht ewiggestrige
alte Damen, die ihre Hunde auf die Straße führen
und des "seligen Kaisers" gedenken. Das "früher"
bezieht sich auf die Zeit vor dem Februar dieses Jahres,
bevor plötzlich nicht mehr eine Regierung aus Sozialdemokraten
(SPÖ) und Volkspartei (ÖVP) in der Wiener
Hofburg residierte, sondern aus ÖVP und Jörg
Haiders Freiheitlicher Partei (FPÖ), die unlängst
von einem "Weisenbericht" der EU als "populistische
Partei mit radikalen Elementen" eingestuft wurde.
Wenn von der zumindest besseren alten Zeit die Rede
ist, sind oft Vertreter der freien Kunst- und Medienszene
am Wort.
Einer der schlimmsten Böcke
"Man
wird die Böcke von den Schafen zu trennen haben",
erläuterte etwa Andreas Khol, der Vorsitzende des
ÖVP-Parlamentsklubs - und damit zweitwichtigster
Politiker der Volkspartei nach Bundeskanzler Wolfgang
Schüssel - die Subventionspolitik der neuen Regierung
kurz nach der konservativen Wende. Einer der schlimmsten
Böcke dürfte demnach Public Netbase t0 sein,
um bei der Metapher zu bleiben. Denn seit Februar dieses
Jahres bleiben staatliche Förderungen für
die Netzkulturinitiative aus und der Rausschmiss aus
den von der Regierung vermieteten Räumlichkeiten
steht vor der Tür.
Public
Netbase vermittelt mit Schulungen und Diskussionen seit
Jahren Medienkompetenz und ermöglicht Kunst im
Internet. Die Netzkulturvermittler wurden mit dem Linzer
"Prix Ars Electronica" ausgezeichnet und fanden
mit dem Medienleitprojekt der "Europäischen
Kulturstadt Brüssel 2000" international Beachtung.
Public
Netbase betreibt auch die regierungskritische Website
www. government-austria.at und stellt seinen Internetprovider
einigen "Widerstands-Sites", wie etwa "gettoattack"
oder "volkstanz.net" kostenlos zur Verfügung.
Dort finden sich Informationen zu den so genannten Donnerstags-Demonstrationen
gegen die Regierung, weshalb die Netbase-Crew für
das "Chaos auf Wiens Straßen" verantwortlich
gemacht wird.
Demonstrieren
ist selbst in Österreich legal - deshalb setzt
die Regierung auf eine andere Karte, wie Martin Wassermair
von Public Netbase auf gut Wienerisch erklärt:
"Man lässt uns deppert sterben." Sprich:
Bis heute wissen die Netz-Aktivisten nicht, ob sie die
von der vorigen Regierung mündlich zugesagte Förderung
für das Jahr 2000 in Höhe von umgerechnet
mehr als 300 000 Mark erhalten werden.
Ebenso
wenig wissen sie, ob sie nach dem Umbau des Museumsquartiers
- ihrer Heimstatt im Herzen Wiens - als Mieter noch
länger erwünscht sind. Ihr Mietvertrag wurde
zunächst für die Dauer der Umbauarbeiten gekündigt.
Was auf dem Kündigungsschreiben des Museumsquartier-Chefs
fehlte, war der Zusatz, wann und ob überhaupt wieder
eingezogen werden kann.
Inzwischen
beauftragte die Regierung ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen
mit der Durchsicht der Finanzen von Public Netbase.
"Ebenfalls eine rein politisch motivierte Schikane",
vermutet deren Leiter Konrad Becker. Die Zuständigen
widersprechen und beziehen sich auf die Empfehlung einer
"Evaluierung" durch den Medienkunstbeirat,
einem Relikt aus Regierungszeiten der Sozialdemokraten.
Die
Mitglieder jenes Gremiums wehren sich vehement gegen
diese Vereinnahmung. Es sei bei der Gründung von
Public Netbase t0 eine "Evaluierung in künstlerischer,
inhaltlicher und konzeptioneller Hinsicht" beschlossen
worden. Vor einer Vermengung mit wirtschaftlichen Belangen
wurde hingegen ausdrücklich gewarnt. Seit kurzem
liegt eine Rohfassung des Berichts der Wirtschaftsprüfer
vor, die Public Netbase eine tadellose Finanzführung
bescheinigt. Doch langsam wird es eng für die Netzaktivisten.
Lange wird man Vertragspartner, Zulieferfirmen und Banken
nicht mehr vertrösten können. Public Netbase
t0 steht vor dem Ende.
Ein
letzter Rettungsanker könnte nun ebenfalls von
Vertretern der Volkspartei gelichtet werden. Denn Wien
ist so etwas wie die sozialdemokratische Enklave in
Österreich. Die Stadt wird von einer Koalition
aus SPÖ und ÖVP regiert. Die SPÖ versucht
nun - quasi als Ersatz für die ausbleibenden Subventionen
der Regierung - eine Förderung für Public
Netbase im Wiener Gemeinderat durchzuboxen. Die nächsten
Wochen werden weisen, ob sich die ÖVP auch hier
querlegt.
Düsteres Szenario
Im
November wird an Konrad Becker der Preis der Stadt Wien
für Bildende Kunst verliehen - ausgerechnet von
einem ÖVP-Stadtpolitiker. "Die Auszeichnung
wird er mir vielleicht schon im Gefängnis überreichen
müssen", entwirft Becker, der persönlich
für das Finanzgebaren von Public Netbase haftet,
ein Worst-Case-Szenario. Für ihn jedenfalls handelt
es sich bei der Causa Netbase um "das bestdokumentierte
Beispiel politischer Verfolgung in der Geschichte Österreichs
seit Ende des Zweiten Weltkrieges".
Simon Hadler
Artikel
vom 25. Oktober 2000
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