"Der
Standard", 17. Mai 2000
::Das Fledermaus-Syndrom
:Herbergsuche im "Muqua":
Glücklich ist, wer vergisst ...?
Die
politischen Vorgänge rund um das Museumsquartier
erinnern die Mitarbeiter von Public Netbase an die "Grässlichkeiten
einer Salonoperette".
Wäre
Karl Kraus noch am Leben, er hätte beim Anblick
des Museumsquartiers keine ruhige Minute mehr. "Talentlose
Flickschneider" seien hier am Werk, "im Bündnis
mit dem Geist des Drahertums". Das absehbare Resultat,
eine "ernst genommene Sinnlosigkeit", verzichte
"auf das Opfer der Phantasie, das man früher
noch den Genießern zugemutet hat". So oder
so ähnlich könnte heute das aufgebrachte Urteil
lauten.
Die
hier angeführten Anleihen entstammen alle einer
Ausgabe der Fackel aus dem Jahre 1909. Voller Verachtung
hatte Karl Kraus damals anhand der "Fledermaus"
die "Grässlichkeiten der bürgerlichen
Salonoperette" vorgeführt, die ihm als geeigneter
Nachweis des kulturellen Verfalls erschien.
Zur
aktuellen Debatte um das Museumsquartier taugt eine
Parallele allemal. Denn auch die politischen Vorgänge
rund um das kulturelle Großprojekt tragen durchaus
operettenhafte Züge.
Wessen
Bier ist das Quartier?
Mit
seiner Kulturarbeit an der Schnittstelle von Kunst und
neuen Medien glaubte sich Public Netbase t0 aufgrund
der glaubwürdigen Versicherung von kulturpolitischer
Wertschätzung im Museumsquartier bislang auf sicherem
Terrain.
Groß
war daher die Hoffnung, als mit dem Baufortschritt Anfang
April die Prekarien der kleineren Nutzer widerrufen
wurden: Der Kulturpolitik, nunmehr ausschließlich
in der Hand der ÖVP, müsse doch an der lebendigen
Vielfalt gelegen sein. Und auch Wolfgang Waldner, der
Geschäftsführer der Museumsquartier GesmbH.,
bestätigte: Die inhaltliche Gestaltung des heranwachsenden
Kulturbezirks sei vornehmlich Aufgabe der Politik.
Einem
Angebot, für den Zeitraum der Renovierung Ersatzräumlichkeiten
im Areal zur Verfügung zu stellen und damit einen
zukünftigen Verbleib zu sichern, stand demnach
also nichts im Wege. Doch dieser Schritt ist bis heute
nicht erfolgt. Franz Morak, der ehemals expressive Kunststaatssekretär,
hält sich zum Museumsquartier bedeckt ("nicht
mein Bier"). Erstaunlich, dass er am 1. Mai in
einer aktuellen Meldung der Bundesregierung verlautbaren
ließ, der bisherige österreichische Weg einer
"autistischen Kulturpolitik" müsse mit
dem Internet nunmehr ein Ende finden.
Eine
Stellungnahme, wie es mit Public Netbase t0 und der
Verankerung der neuen Medien im Museumsquartier weitergehen
soll, steht allerdings bis heute aus.
Kulturministerin
Gehrer ist da schon ein wenig auskunftsfreudiger - wenn
auch nur indirekt -, indem sie zu verstehen gibt, dass
sich der kulturelle Anspruch der Bundesregierung im
Zuge der milliardenschweren Internet-Offensive "e-Austria"
auf eine "Digitalisierung des historischen Volksliedguts"
beschränkt. Dass zeitgenössische Ausdrucksformen
von Kunst und Kultur mit keiner Silbe erwähnt werden,
dokumentiert eine eigentümliche Art von Weitblick,
zumal das digitale Kulturerbe von morgen damit bereits
heute massiv gefährdet wird.
Kulturpolitik
im Dreivierteltakt?
Zu
allem Überfluss weist auch der als liberal geltende
Peter Marboe jede Zuständigkeit von sich. Auf Anfrage
hatte er keine Ahnung, wie es mit den frei werdenden
Flächen des Fischer-von-Erlach-Traktes weitergehen
solle. Schließlich musste der Wiener Kulturstadtrat
sogar zur aktuellen Planung und schrittweisen Realisierung
des Museumsquartiers seine Unkenntnis eingestehen.
"Glücklich
ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist"
- mit der "Fledermaus" hat Johann Strauß
sich selbst zu großem Ruhm verholfen, der Trinkfreudigkeit
der Österreicher vielleicht auch zu mehr Geselligkeit.
Als Maxime einer verantwortungsbewussten Kulturpolitik
wirkt sie jedoch nicht gerade überzeugend. Denn
eine zukunftsgewandte Gestaltung der Kulturentwicklung
dieses Landes erfordert Ideenreichtum, Offenheit für
Kritik und Entschlossenheit - vor allem aber auch klare
Entscheidungsstrukturen und Verantwortungsbewusstsein.
Und wer gegenwärtig danach sucht, läuft sich
dabei die Füße wund.
Der
Zustand des Museumsquartiers als Terra incognita der
Politik ist endlich zu beenden. In diesem Sinne hat
Public Netbase t0 mit Karl Kraus durchaus einiges gemein.
Martin
Wassermair, Konrad Becker und Marie Ringler für
Public Netbase t0
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